Erwachsene Kinder loslassen
Paula ist eine meine „alte“ Freundin. Wir kennen uns schon seit der Kindheit, haben uns öfter mal aus den Augen verloren, aber nach einiger Zeit immer wieder gefunden.
Jede von uns hat ihre Ups and Downs erlebt und nach über 50 Jahren Freundschaft können wir beide auf eine große Lebenserfahrung zurückschauen. Eine gewisse Empathie ist selbstverständlich. Inzwischen wissen wir auch, dass es nicht immer notwendig ist einen Ratschlag zu erteilen, sondern einfach nur dazusitzen und den Kummer oder die Ängste der anderen anzuhören.
Vor einiger Zeit hatten wir wieder einmal ein tiefgründiges Gespräch. Paula erzählte mir von ihrer Tochter Isabella, die aus Götzis weggezogen ist. Seit einiger Zeit lebt sie nun mit ihrem Freund in Feldkirch in einer Wohnung. Grundsätzlich habe sie nichts gegen diese Verbindung, meinte Paula. Der Freund sei anständig und nett und habe auch gute Umgangsformen. Dennoch habe sich Isabella in der letzten Zeit verändert, sie habe ihre offene und unkomplizierte Art verloren. Zeitweise ertappe sie Isabella dabei, wie sie flunkere und Ausflüchte benütze, auch wenn das gar nicht notwendig sei.
Paula kann die Veränderung ihrer Tochter nur schwer nachvollziehen. Sie habe grundsätzlich immer ein gutes, vertrauensvolles Verhältnis zu Isabella gehabt. Sie habe ihr Kind doch zu einem verantwortungsvollen Menschen, der immer alles sagen kann, erzogen.
Doch jetzt, so Paula, habe sie irgendwie den Draht zu Isabella verloren. Wenn sie sie auf die Flunkereien und Ausflüchte anspreche, weiche ihr Isabella aus und meine, dass sie sich das alles nur einbilde. Ihre Tochter ziehe sich dann von ihr zurück und sei nicht mehr erreichbar.
Paula ist offensichtlich sehr aufgebracht, als sie mir diese Geschichte erzählt. Sie ist zornig, dass sie nicht mehr die erste Vertraute ihrer Tochter ist. Im Laufe des Gesprächs verwandelt sich Paulas Zorn aber in Trauer und plötzlich beginnt sie zu weinen. Wir sitzen beide eine Weile ganz still da, es ist ein besonderer Moment. Als Paula sich wieder gefasst hat meint sie, weisst du auf einmal ist mir klar geworden, dass ich eigentlich sehr, sehr traurig bin und Isabella einfach nur loslassen muss. Das Weinen hat mir sehr geholfen, ich habe jetzt das Gefühl, dass ich die Situation so akzeptiert habe wie sie ist.
Ein paar Tage später erzählt mir Paula, dass sie ein gutes Gespräch mit ihrer Tochter hatte. Sie sei froh, dass der Druck der ihre Beziehung belastet habe, nun weg sei.